Bonsai Research

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Bonsai meets Fritz Classen – Konsumenten-Segmentierung 2020

Seit mehr als einem Jahrzehnt erforscht der Werte-Index regelmäßig den Wertekosmos der Internetnutzer und dokumentiert den Wertewandel in der Gesellschaft. Wie der Werte-Index von Trendbüro (Peter Wippermann), Bonsai Research (Jens Krüger) und Kantar zum Spiegel unserer Gesellschaft wurde. Und warum eine weitere Kooperation zur Konsumenten-Klassifizierung – mit Fritz Classen – die logische Konsequenz ist. Ein persönlicher Blick zurück und in die Zukunft.

Von Jens Krüger

Peter Wippermann und ich hatten 2008 für Nestlé einen gemeinsamen Job (so nennt er unsere Zusammenarbeit immer). Beim Essen fragte er, ob wir nicht zusammen eine Social-Media-Analyse machen wollten. Eine Landkarte der Werte in Deutschland. Im Wandel. Und das regelmäßig. „Klar, warum nicht“, sagte ich. Social-Media-Analyse – wird schon gehen, was immer das auch ist, dachte ich. Zur Erinnerung: Damals war das iPhone neu auf dem Markt. Hottest Shit war noch der Blackberry – zwei Jahre danach war er nur noch shit. Anyway. 

Wir entwickelten den Werte-Index. Für mich war es wie ein Zurückkommen zu den eigenen Wurzeln. Als Soziologe und Sozialpsychologe hatten mich die Wandlungsprozesse in unserer Gesellschaft schon immer interessiert. Insbesondere die Rolle der Medien. Während es in meiner Diplomarbeit noch um die (Print-)Medien als Kolporteure von Lebensstil zwischen Präferenz und Distinktion ging, findet Mediensozialisation heute irgendwo zwischen künstlicher Intelligenz und Deep Fake statt. Auch spannend. 

Seit über zehn Jahren dokumentiert der Werte-Index die Bedeutung 
und den Wandel von Werten im jeweils aktuellen Kontext

Bei der ersten Veröffentlichung 2009 gab es Kritiker, die nicht glauben wollten, dass sich gesellschaftlicher Wandel in so kurzen Zyklen vollzieht, dass es dafür alle zwei Jahre ein Update braucht. Nicht nur die Werte, sondern auch die Einschätzungen ihrer Aktualität ändern sich: Anfang Februar dieses Jahres stellten wir die aktuelle Ausgabe in Hamburg vor. Schon im März wurde spekuliert, der Werte-Index 2020 habe sich mit Corona überholt.

Weder 2009, noch heute sollten die Kritiker recht behalten. Das zeigt das Werte-Index 2020 Corona update 19, in dem sich vor allem Trends der Vor-Corona-Zeit manifestieren. Das zeigen sechs Ausgaben des Werte-Index, die eine Dekade der Veränderung unserer Gesellschaft von der Industrieökonomie zur Netzökonomie begleitet haben. Eine Reise durch ein Jahrzehnt, das vor allem die Digitalisierung unserer Gesellschaft geprägt wurde. 2020 leben in Deutschland erstmals mehr Digital Natives als Digital Immigrants.

Auch der Konsum hat und wird sich weiter radikal verändern. Heute stehen nicht mehr die Produkte oder Services im Vordergrund, sondern die Beziehungen. Human ist he next big thing. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Auch wenn es einige Konzerne noch nicht wahrhaben wollen. Die Kunden übernehmen die Macht. Das ändert viel. Das ändert alles. Das zeichnet die Netzökonomie aus. Genau daran scheitern aktuell viele Unternehmen, vor allem im Handel. Nicht Covid-19 an sich stellt manche Händler vors Aus, sondern der dadurch noch einmal radikal beschleunigte technische und kulturelle Wandel.

Aus Lifestyle wird Conscious Life 

Mit diesem Wandel geht eine zunehmende Hyperindividualisierung unserer Gesellschaft einher. Mehr Autonomie und Selbstbefähigung des Einzelnen, mehr Suche nach dem Sinn. Aus Lifestyle wird Conscious Life. Kommende Konsumentengenerationen werden Unternehmen und Marken noch stärker an ihrer Echtheit, an ihrem Bewusstsein, an ihrer Haltung messen. Bereits 2016 haben wir in der Nestlé Zukunftsstudie abgeleitet, dass die Werteorientierung auch im Lebensmittelbereich deutlich zunehmen wird. 

Für uns und unsere Kunden ist der Werte-Index deshalb ein zunehmend wichtigeres Instrument. Wir wollen unseren Kunden helfen, die Menschen zu verstehen. In ihren Bedürfnissen und in ihrem Konsumverhalten. Es ist nicht damit getan, einen Algorithmus zu entwickeln, oder festzustellen, wer Produkt x statt Produkt y kauft. Vielmehr müssen wir genau (er-)klären, warum das so ist. Der gesellschaftliche Kontext spielt hierbei im FMCG-Bereich generell und speziell im Lebensmittelhandel eine zunehmende Rolle.

Der Mensch ist, was er isst

Es geht nicht nur darum, den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen, sondern vor allem ihren Werten. Was wir bisher nur von langlebigen Gütern, besonders Autos, kannten – sag´ mir welches Auto du fährst, und ich sage dir, wer du bist – das gilt heute auch für Produkte des täglichen Bedarfs. Konsum und Ernährung sind zu einer Art Ersatzreligion geworden: Sag´ mir was du kaufst und isst, und ich sage dir, wer du bist. 

Wo uns der Werte-Index die Indikation für Veränderungen gibt, werden wir diese künftig noch stärker auch in unseren anderen Studien, unseren Befragungen der Konsumenten, berücksichtigen. Ziel ist es, Konsumenten neu und differenzierter zu segmentieren – nach ihren Wertvorstellungen und Wertorientierungen. Dafür haben wir mit Fritz Classen jetzt den richtigen Partner gefunden.

Segmentierung 2020 – differenziert und wertebasiert

Fritz Classen ist im Bereich der wertebasierten Sozialforschung tätig und untersucht den kulturellen Wandel in der Gesellschaft mit den Fokusbereichen Submilieu- und (Sub-)kulturforschung. Als Teil dieser Forschung erschien der Milieubegriff im gegenwärtigen stark von der Digitalisierung geprägten Zeitgeschehen in einer sich dadurch immer stärker fragmentierenden Gesellschaft als nicht mehr zeitgemäß. 

Zudem steht das Konzept der sozialen Milieus einem wiedererstarkenden Klassenbegriff gegenüber. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um eine gewöhnliche Klassengesellschaft, wie wir sie aus der Zeit der Industrialisierung oder von Marx und Engels kennen, sondern um ein multidimensionales Klassensystem mit immer individuelleren Ausprägungen und immer feineren, kulturellen Codes, die den Zugang in diese Klientel für einen Großteil der Gesellschaft erschweren beziehungsweise unmöglich machen. Die zahlreichen neu entstandenen kulturellen (Sub-)Klassen sind zum großen Teil ein Produkt der Kiezkultur moderner Metropolen. 

Vor allem innerhalb der Stadtteile, die als Habitate der kreativen Klasse angesehen werden können, sehen wir seit Jahren eine extreme Ausdifferenzierung von Wertegrundsätzen und daraus resultierenden Lebensstilen. Das Modell der kulturellen Klassen ersetzt somit zunehmend das vergleichsweise überschaubare Modell der gesellschaftlichen Milieus – hebt es auf eine neue, tiefergehende Ebene. 

Milieus werden zu kulturellen Klassen

Bereits 2016 hatten wir die Idee, den Werte-Index in ein Segmentationsmodell zu überführen. Björn Welzel, Geschäftsführer von Fritz Classen (Milieuforscher und Stratege in der Automobilbranche – Audi, Porsche, Skoda und Co., Soziologe und Softwareentwickler) hat bereits eine Vielzahl von Projekten für den VW-Konzern und andere Technologieunternehmen umgesetzt. Gerade in der Automobilbranche sind die Sigma-Milieus prägend, ermöglichen aber oft nicht die notwendige Differenzierungstiefe.

Die voranschreitende Individualisierung erfordert, differenzierter und wertebasiert zu arbeiten. Während sich die klassischen sozialwissenschaftlichen Milieu-Studien immer noch auf 10 bis 15 Segmente beschränken, hat Fritz Classen in Deutschland 28 kulturelle Klassen identifiziert. Neben sozialem Status, Einkommen und Bildung werden eine Vielzahl von Wertorientierungen gemessen, was zu einer neuen, sehr viel feineren Segmentierung führt.

© 2020 Fritz Classen GbR


Zielgruppeninformation + Wertorientierung = Mehrwert für Unternehmen

Dieses Modell haben wir jetzt auf den Bereich Konsumgüter und Handel übertragen und so Zielgruppen-Informationen um Werteorientierungen erweitert. Für uns der logische Schritt: Zum einen helfen wir unseren Kunden damit, die (werbliche) Ansprache ihrer Zielgruppe zu verbessern. Zum anderen unterstützen wir sie in ihren Innovationsprozessen – von der Idee bis in den Handel.

Wenn Werte zunehmend wichtiger sind, und sich fortwährend verändern, müssen wir in unseren Forschungsprojekten diesem Thema auch den notwendigen Rahmen geben: In Shopper-Studien, Zukunftsstudien und den vielen täglichen Tests und Experimenten werden wir zukünftig wertebasierte Segmentierungen nutzen. 

Insofern wandeln auch wir bei Bonsai uns. Beruhigend ist, dass eines bleibt: Es sind echte Menschen, in echten Situationen, in echten Geschäften, die wir für unsere Kunden begleiten. Denn: Das wahre Leben kannst Du nicht simulieren. 

Und auch wenn „wertebasierte Segmentierung“ etwas sperrig klingt: Klare Bilderwelten und prägnante Definitionen der Konsumentenklassen zeigen: Wir bleiben im wahren Leben. Und bieten Unternehmen sehr pragmatische Unterstützung. Mehr dazu in der Kurzpräsentation Wertebasierte Kundensegmentierung 2020.